Mein Freund der Baum

Kolumne: Mein Freund, der Baum …

… ist tot. Er fiel im frühen Morgenrot. Alexandras Stimme ist schon lange verstummt, doch beim Anblick des liegenden Baumes schwingt ihre Stimme mit dem Zwitschern der Vögel durch den winterlichen Wald. Wie viele Jahre trugst du, lieber Freund, den gelben Rhombus stolz auf deiner Rinde? Deiner Grösse nach viele lange Jahre. Du ertrugst stoisch Wind und Wetter, sahst Tiere und Menschen den Wald, deine Heimat, geniessen. Und hörtest Vogelgezwitscher, Brunftschreie der Hirsche und fröhliches Kinderlachen.

Jetzt liegst du da, ein Flaum aus Schnee bedeckt deinen verstümmelten Körper. Aus dir wird vielleicht Brennholz, dann wirst du ein Haus erwärmen. Oder ein begabter Schreiner fertigt aus dir ein Möbel, das viele Jahre Zierde eines Hauses sein wird. Ich kann es dir nicht sagen: ich weiss nicht, was aus dir wird.

Ich weiss auch nicht, warum du fallen mustest. Warst du krank? Oder vielleicht zu gross und hast den anderen Bäumen das Licht gestohlen? Kann sein. Möglicherweise musstest du Platz schaffen für eine Eiche. Jetzt noch klein und unscheinbar, in ein paar Jahrzehnten aber genau so mächtig, wie du. Wenn dem so ist, wird diese Eiche den Rhombus mit demselben Stolz tragen. Und Generationen von Wanderern werden sich von deinem Nachfolger den Weg zeigen lassen, sich nicht im Wald verirrend.

Adieu mein Freund. Danke für die vielen Jahre treuer Dienst als Wegweiserträger.

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