Was tun, wenn das anvisierte Wanderziel im Nebelmeer versinkt? Eine Alternative in nebelfreiem Gebiet suchen. Berge höher als 1′800 Meter kamen in Frage oder die Südschweiz. Ganz tief in der Ideenschublade gekramt und das Misox herausgezogen. Schon länger geplant, wegen der langen Anfahrt immer wieder verworfen. Dabei ist die Anfahrt einer der Höhepunkte auf dieser Tour.
Region: | Graubünden; Misox; San Bernadino |
Tour Datum: | 12.10.2010 |
Wandern Schwierigkeit: | T1 – Wandern (siehe » Alpinwanderskala) |
Wegpunkte: | » Mesocco, Soazza, Cabbiolo |
Karten: | Landeskarte 1:25 000, Blatt 1274 Mesocco; geo.admin-Karte: Digitale Wanderkarte |
Zeitbedarf: | ca. 2 – 3 Stunden Wanderzeit |
Aufstieg: | 34 Höhenmeter (zur Ruine) |
Abstieg: | 287 Höhenmeter |
Für Kinder: | An- und Heimfahrt mit Bahn und Bus, Ruine Mesocco, Tunnels und Brücken der alten Bahnlinie |
Restaurants: | keine benutzt |
ÖV-Anbindung: | Postauto Stationen: Messoco, Stazione und Cabbiolo. SBB-Bahnhöfe Chur und Bellinzona (Anschluss Postauto) |
GPS-Track: | mesocco_cabbiolo.kmz (Google-Earth-Format) |
Sonne, Sonne und nochmals Sonne
8.37 Uhr haben die Kinder und ich im Zürcher Hauptbahnhof den Intercity Neigezug nach Chur bestiegen. Der Nebel hängt tief, der Zürichsee verschwindet im grauen Schleier. Das „Wägeli“ mit Kaffee und Gipfeli ist der erste Lichtblick. Einfahrt in den Walensee-Tunnel, es wird dunkel. Ausfahrt ins helle, blendende Sonnenlicht. Aahs und Oohs sind im ganzen Wagen zu hören. Schön so. Die Sonnenbrille bleibt bis am Abend auf der Nase.
In Chur steigen wir auf den Express-Bus Chur – Bellinzona um. Über Thusis, durch die Via Mala-Schlucht und den San Bernardino-Tunnel bringt uns das Postauto sicher nach Mesocco. Ich kannte die Passage bisher nur als Fahrer. Ein Erlebnis. Gemütlich und aussichtsreich. Kann ich nur empfehlen. Als wir in Mesocco aus dem Postauto steigen, empfängt uns südliches Klima. Die Jacken werden als erstes in die Rucksäcke verstaut. Noch einmal den Herbst so richtig geniessen. Wärme und Sonne tanken. Vorbereitung auf den Winter.
Arm an Industrie. Reich an schöner Landschaft
Mesocco Statione, die heutige Postautohaltestelle, war einst der Endbahnhof einer Schmalspurbahn von Bellinzona her. 1907 eröffnet, wurde die unrentable Bahn im Jahre 1972 durch das Postauto ersetzt und die Geleise entfernt. Wer heute im alten Bahnhofgelände steht, versteht, warum die Linie nie rentierte. Das Misox ist eine der ärmeren Gegenden der Schweiz. Kaum Industrie, infolge der „schnellen“ Autobahn A13 auch kaum Touristen. Das alte Stationsgebäude ist baufällig und macht einen verlotterten Eindruck.
Der Wanderweg ist sehr gut ausgeschildert, einfach den Wegweisern mit der Beschriftung „Sentiero della Valle“ (Weg des Tales) folgen und man läuft automatisch richtig. Nur um die Ruine des „Castello di Mesocco“ besichtigen zu können, muss der Weg verlassen werden. Die imposante Festung ist bereits gut zu sehen. Doch vorerst folgen wir dem Weg auf dem alten Bahntrassee abwärts. In einem lauschigen Wäldchen biegt ein schmaler Pfad links ab, welchem wir folgen, um die Ruine genauer besichtigen zu können.
Wandel einer Festung
Der Umweg und die Überquerung der Kantonsstrasse lohnen sich. Das alte Gemäuer ist auch als Ruine noch imposant und sehenswert. Ein schattiger Rastplatz unterhalb der Festung lockt zur Vesper. Die 1219 erstmals erwähnte Burg ist eine der grössten Festungen der Schweiz. Sie galt als uneinnehmbar, wurde aber 1479 durch die Bünder in einem Handstreich besetzt. Die Burg wurde danach zur heutigen Festung ausgebaut, allerdings bereits 1526 geschleift. Man befürchtete eine Besatzung durch fremde Mächte. Die Anlage begann zu verfallen. 1925, 1986 – 1993 und 2009 wurde die Ruine restauriert und stabilisiert. Heute wird die Ruine für Freilichtspiele und andere kulturelle Anlässe benutzt.
Wir verlassen die Festung und kehren zurück in den schattigen Wald und folgen der alten Bahnlinie talwärts. Überall liegen Maronen (Edelkastanien) auf dem Weg, gut habe ich eine Sammeltüte eingepackt. Mit lockerem Schritt geht es abwärts. Wir durchqueren Einschnitte und Tunnels, überqueren Viadukte und Brücken. Macht Spass, sich mal als Zug zu fühlen. Ob die Marketing-Strategen des Zürcherverkehrsverbundes hier auch gewandert sind, als sie den Slogan „Ich bin auch ein Zug“ ausheckten?
Die Kastanien werden seltener
Soazza, die nächste Station auf unserer Reise ist schnell erreicht. Der alte Bahnhof ist besser gepflegt als sein Pendant in Mesocco. Überhaupt macht das Dorf einen herausgeputzten Eindruck. Südliches Flair mischt sich mit Bergwelt. Gepflegte Gärten und Hinterhöfe, hier könnte ich mich wohl fühlen… Eine kurze Rast an einem Brunnen. Flaschen mit köstlich kühlem Wasser füllen und weiter gehts. Die Kastanien werden seltener, Mischwald dominiert das Bild.
Etwa auf halbem Wege von Soazza nach Cabbiolo ändert sich die Szenerie. Wir treten aus dem Wald in die Sonne, das Tal wird breiter. Hier verlässt der Weg das alte Bahntrassee und folgt dem Flüsschen Moesa weiter talwärts. Wir überqueren die Kantonsstrasse, unterqueren die Autobahn und sind am Fluss. Ein breiter Kiesweg führt nun fast geradeaus weiter. Beim Blick zurück ist nochmals die Festung Mesocco zu sehen. Ein wahrlich imposantes Gemäuer. Die Wirkung im Mittelalter muss gewaltig gewesen sein.
Der Bus erlöst müde Kinder
Die Kinder sind langsam müde. Wir beschliessen, nach der Brücke „Ponte di Vigna“ nicht mehr dem Wanderweg zu folgen, sondern dem Gehsteig der Strasse. In der Hoffnung, schon bald auf eine Bushaltestelle zu stossen. Unsere Idee erweist sich als korrekt. Nach kurzem Marsch, vorbei am Kraftwerk, welches früher die Bahn mit Strom versorgte, finden wir eine Bushaltestelle. Eine schöne Wanderung geht zu Ende, nicht aber die weitere Reise.
Der Bus bringt uns weiter nach Bellinzona, die Eisenbahn von dort durch den Gotthard-Tunnel zurück nach Zürich. Ein langer Tag geht zu Ende. Es hat sich gelohnt. Und die gesammelten Marroni schmeckten am nächsten Tag wunderbar. Wer übrigens bei „unserer“ Abzweigung noch nicht müde ist, kann dem Weg noch viel weiter folgen. Der Weg führt noch lange das Tal hinunter. Cabbiolo, Lostallo, Cama, Roveredo usw. Praktisch in jedem Ort gibt es eine Haltestelle des Postautos.
Fazit: Das „Valle Mesolcina“ wird uns wiedersehen. Ferien halber dort ein paar Tage verbringen und die Berge erkunden klingt sehr reizvoll. Nur mit dem speziellen italienischen Dialekt der Talbevölkerung habe ich noch meine liebe Mühe. Aber Übung macht bekanntlich den Meister.
Links:
- Wikipedia „Castello di Mesocco“: de.wikipedia.org/wiki/Castello_di_Mesocco
- Wikipedia „Bellinzona-Mesocco-Bahn“: de.wikipedia.org/wiki/Bellinzona–Mesocco-Bahn